Endlich Ferien

Die Sommerferien sind angebrochen. Neun Wochen Ferien. Wir hatten damals acht Wochen zu DDR Zeiten, später nach der Wende nur noch 6 Wochen. In meiner Erinnerung waren wir in den Ferien immer in Neudorf bei Oma. Der riesige Garten ein einziges Paradies. Morgens die Hähne der Nachbarn, Traktoren, die den Mühlweg entlang tuckerten. In der Ferne eine Kreißsäge. Das sind die Geräusche meiner Kindheit. Der Geruch von frisch gemähtem Gras dazu.

Wir haben uns meistens aufgeteilt. Die Hälfte der Zeit hast du bei Oma geschlafen und ich bei unserer Großtante im anderen Haus. Dem Haus, in dem wir beide die ersten Jahre gelebt haben. Du viel bewusster als ich, du warst ja schon fünf, als ich auf die Welt kam. Das riesige Fenster zum Garten, aus dem irgendwie nie jemand geschaut hat, weil nie jemand tagsüber im Wohnzimmer war. Alles spielte sich in der Küche ab. Nach der Hälfte der Ferien haben wir das Schlaflager getauscht. Ich habe lieber bei Oma geschlafen, weil ich bei ihr im Bett liegen konnte. Da habe ich mich nicht fürchten müssen. Und sie hat mir oft erlaubt bis spät mit ihr Golden Girls zu schauen. Das war lustig.

Nach dem Garten und den Häusern sehne ich mich heute manchmal so sehr wie nach dir. Beides ist verkauft. Es leben fremde Menschen dort und sie haben diese Orte zu einem anderen Universum umgestaltet. Nichts ist dort mehr wie früher. Ist ja auch normal, aber manchmal tut es weh. Ich beneide manchmal die Menschen, die in die Häuser ihrer Kindheit zurückkehren können.

Vor ein paar Jahren war ich mit den Kindern dort. Wir haben dann auf dem Auerberg deinen alten Schulfreund getroffen. Ich kannte den nie bewusst, du warst meistens bei ihm, er war nie bei uns. Ich hätte ihn nie erkannt und er mich auch nicht. Als er mir die Hand geschüttelt hat war es, als würde mich jemand von der Autobahn schleudern. Da stand ein Mann vor mir, der ein ganzes Leben gelebt hat. Eines, das du nie hattest. Ein Mann, der du auch geworden wärest. Es ist ja nicht so, dass ich keine Männer kenne, die so alt sind wie du es jetzt wärest. Mein Freund ist ein Jähr älter als du jetzt wärst. Aber dieser Mensch hatte eine Laufbahn mit dir. Ihr seid zusammen in den Kindergarten gegangen und in die Schule für ein paar Jahre. Er hat das Leben weitergelebt.

Das ist die Verrücktheit der Trauer. Wo Gedanken ganz eigene Wege nehmen. Die für andere oft gar nicht nachvollziehbar sind. Die man selbst nicht immer begreift. Vielleicht habe ich deshalb ganz am Anfang nicht wirklich trauern können. Weil ich es einfach alles nicht begriffen habe. Die Art und Weise des Schmerzes nicht verstanden habe. Mich zu wenig gespürt habe, um alles andere rundherum zu spüren. Dafür spüre ich heute manchmal viel zu viel. Und dazu muss es nur heißen: Endlich Ferien!

Schreibe einen Kommentar